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Interview mit HSG-Professor Rolf Wüstenhagen

Thurgauer Energiepreis – auch ein Baustein der Energiewende

Interview mit HSG-Professor Rolf Wüstenhagen

Die Schweiz plant den Umbau der Energieversorgung von der Atomenergie auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Die Energiewende gilt als Generationenprojekt. Rolf Wüstenhagen, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St.Gallen, ist überzeugt, dass energiepolitische Massnahmen der Kantone, wie ein langfristiges Förderprogramm oder der Thurgauer Energiepreis, den kreativen Prozess in der Gesellschaft auslösen, den es für dieEnergiewende braucht.

Herr Wüstenhagen, Wir wollen die Energiewende auf der Basis der Energiestrategie 2050 des Bundesrates umsetzen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung dieses Generationenprojekts in der Schweiz?
Wüstenhagen:
Nach der ersten Aufbruchsstimmung steht jetzt die Umsetzungsarbeit im Vordergrund. Bei konkreten Projekten werden natürlich auch die Herausforderungen greifbarer. Diese Phase ist vor allem emotional anspruchsvoller. Es geschehen Fehler und man stösst an Grenzen, wir müssen dazu lernen und nach neuen Lösungen suchen. Das zeigt das Geothermie-Projekt in St.Gallen beispielhaft. Die Stadt hat sich engagiert für dieses Projekt eingesetzt und kann es nun nicht in der ursprünglich geplanten Form realisieren. Sie lässt es jetzt aber nicht fallen, sondern sucht intensiv nach neuen Wegen. Darin lässt sich erkennen, dass die Energiewende ausdauerndes Vorgehen erfordert – aus den gemachten Erfahrungen gilt es zu lernen. Gerade bei grossen Vorzeigeprojekten, sei es die Photovoltaikanlage am Walensee oder neue Windparks, lassen Erfolgserlebnisse noch auf sich warten. Hier spielen unterschiedliche Interessen hinein, die Diskussion über Vor- und Nachteile findet auch in der Öffentlichkeit statt. Die Energiewende braucht deshalb den gesellschaftlichen Rückhalt und die Mitwirkung auf allen Ebenen.
Planungssicherheit ist für die beteiligten Marktakteure in solch einem dynamischen Umfeld natürlich ein kostbares Gut. Das ist aber auf übergeordneter Ebene nicht immer einfach, wie beispielsweise die aktuellen Herausforderungen im Umgang mit der Europäischen Union zeigen, die für den grenzüberschreitenden Stromhandel eine wichtige Rolle spielen.

Haben wir auch Fortschritte erzielt?
Wüstenhagen: Während grosse Projekte eher Widerstand hervorrufen, geht es bei den kleinen sehr gut voran. Ein Beispiel dafür ist die Verdopplung der installierten Leistung bei der Solarenergie von 2011 auf 2012. Vor allem bei kleineren Projekten zeigt sich die Tendenz, dass in der unmittelbaren Nähe von Anlagen die Akzeptanz hoch ist. Obwohl die Leute direkt von einer Veränderung betroffen sind, erkennen sie auch den Nutzen. Positiv ist auch die unverändert hohe Zustimmung der Bevölkerung zur generellen Stossrichtung der Energiestrategie 2050, die sich unter anderem in unserem jährlichen Kundenbarometer erneuerbare Energien spiegelt.

Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen sind wichtig, damit wir die Energiewende schaffen?
Wüstenhagen: Es braucht eine Wachheit der Bevölkerung, ein Bewusstsein für die Themen Energieverbrauch und Energieerzeugung. Die Energiewende lässt sich nicht einfach an die Politik oder die Energieversorgungsunternehmen delegieren, die eine Lösung für eine nachhaltige Energieversorgung finden sollen. Jeder ist aufgefordert, mitzuwirken.
Ungenutztes Potenzial sehe ich im Bereich der Bildung. Das Thema Energie ist in der Primarschule kaum Unterrichtsinhalt, das erlebe ich aktuell bei meiner Tochter. Eine Voraussetzung für das Gelingen dieses Projekts ist aber sicher die Sensibilisierung der Konsumentinnen und Konsumenten von morgen für ihren eigenen Energieverbrauch.

Was erwarten sie von den Beratungen der Energiestrategie 2050 im Parlament?
Wüstenhagen: Wie bei anderen Prozessen der politischen Meinungsfindung zeigt sich bei der Beratung der Energiestrategie, dass die breite Abstützung der langfristigen Stossrichtung nicht gleichbedeutend ist mit Einigkeit bezüglich konkreter Einzelfragen und Massnahmen. Wenn es konkret wird, kommt es natürlich immer auch zu Verteilungsfragen. Ein Beispiel dafür sind die Netzgebühren. Wenn Hauseigentümer einen Teil ihres Stroms mit Solaranlagen auf dem Dach produzieren, führt das zunächst einmal zu Einkommensausfällen bei den Energieversorgungsunternehmen. Je nachdem, ob dann auf diesen Eigenverbrauch auch Netzentgelte zu zahlen sind oder nicht, profitiert entweder die eine oder die andere Seite. Darum ist es wenig überraschend, dass sich bei der konkreten Neuregelung der Netzgebühren die Geister scheiden. Der Bundesrat ist gefordert. Er muss die Stossrichtung der Strategie beibehalten, und gleichzeitig in Einzelfragen flexibel reagieren.

Die Thurgauer Energiepolitik gilt schweizweit als vorbildlich. Sie setzt seit auf ein umfangreiches Förderprogramm und erzielt hohe CO2-Einsparung. Welche Bedeutung hat eine fortschrittliche Energiepolitik der Kantone in Bezug zur Umsetzung der Energiewende?
Wüstenhagen: Die Energiepolitik der Kantone ist ein wesentlicher Bestandteil der Energiestrategie, vor allem weil der Gebäudebereich in ihrer Entscheidungskompetenz liegt. Der Kanton Thurgau hat nicht nur eine sehr fortschrittliche, sondern seit Jahren eine stabile Energiepolitik. Denn noch entscheidender als ein breites Förderprogramm, ist die langfristige Ausrichtung. Sie schafft über die Jahre hinweg sichere Rahmenbedingungen und erzeugt auch durch ihre symbolische Wirkung ein positives Investitionsklima. Im Kanton Thurgau gilt es als wichtig und lohnend, sich für Energieeffizienz und erneuerbare Energien einzusetzen.

Ergibt sich daraus für einen Kanton ein positiver wirtschaftlicher Effekt?
Wüstenhagen: Bei den Kantonen führen wir ja gerne die Höhe des Steuerfusses als Standortvorteil ins Feld. Die Frage ist doch aber, ob anstelle des Steuer-Wettbewerbs nicht ein Energie-Fortschritts-Wettbewerb zwischen den Kantonen zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsentwicklung führen würde. Eine vorausschauende Energiestrategie kann ebenso als Standortvorteil bewertet werden, vor allem in der langfristigen Perspektive. Während der Standortvorteil tiefer Steuern verloren geht, sobald der Nachbarkanton die Steuern noch mehr senkt, bleiben die Vorteile einer fortschrittlichen Energiestrategie bestehen.
Einleuchtend scheint mir ausserdem der Zusammenhang zwischen Wertschöpfung und einheimischer Energieproduktion. Die Umsetzung von Massnahmen der Energieeffizienz sowie die Nutzung erneuerbarer Energien verhindern den Abfluss an Wertschöpfung für fossile Energien ins Ausland. Die positive Wirkung für das einheimische Gewerbe ist unbestritten.

Können energiepolitische Massnahmen des Kantons wie Förderbeiträge oder die Unterstützung eines Thurgauer Energiepreises den gesellschaftlichen Rückhalt für die Energiewende stärken?
Wüstenhagen: Solche energiepolitischen Massnahmen bilden die Bausteine dazu, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein für eine nachhaltige Energieversorgung steigt. Die Anerkennung vorbildlicher Projekte von offizieller Seite hat identitätsstiftenden Charakter. Die Menschen sehen einen Wert darin, sich auf den Weg zu machen und selbst nach neuen Lösungen zu suchen. Es wird ein kreativer Prozess ausgelöst. In einer Demokratie ist das die beste Möglichkeit, eine Idee wie die Energiewende vorwärts zu bringen.

Herr Wüstenhagen, besten Dank für das Gespräch.

Redaktion Gaby Roost, Nova Energie GmbH in Aadorf

Interview und Hintergrunfinformationen als PDF-Datei
Anmeldung Thurgauer Energiepreis 2014

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